Mitten in Mannheim:

Idyll
 in 91 Stufen Höhe

Kaninchenhaltung in der Stadt – so naturnah und artgerecht wie möglich

Ein Beitrag von 
Kathrin Hentzschel

 
 

 

 

Vorwort

Frau Hentzschel hat sich im Herbst 2008 bei uns gemeldet und uns ihre Freilaufkaninchenhaltung auf CD vorgestellt. Frau Hentzschel stattete uns daraufhin einen mehrtägigen Besuch ab, wobei sie Gelegenheit fand, das Leben mit den Kaninchen, unsere Arbeit, Vater Brauner Bär und seine Familie kennen zu lernen sowie auch zu fotografieren. Ihre Motivation, sich als freiberufliche Texterin für Kaninchen einzusetzen, fanden wir toll. Es folgten für Frau Hentzschel Publikationen in Rodentia, der Kaninchenzeitung oder im KOSMOS-Handbuch Kaninchen.

Eine Dachterrasse oder ein Süd-Balkon bleibt jedoch für freilaufkaninchen.de als dauerhaften Lebensraum suboptimal, vor allem weil Kaninchen dort Extremwetterlagen voll ausgesetzt sind. Die Sommerhitze kann sich auf Balkon oder Dachterrasse schnell bei 35 Grad Celsius stauen, so dass Lebensgefahr für Kaninchen besteht. Im Winter wird es dagegen zu kalt. Vielen Kaninchen(-rassen) wurde das isolierende Unterfell weggezüchtet. Solche Rassen sind nicht wirklich wintertauglich. Gerade die "puscheligen" Kaninchen frieren im Winter. Kaninchen auf Balkon- und Dachterrassen sollten (zumindest) an kritischen Tagen Zugang zu einem kühleren / wärmeren / trockenen Raum haben. Der Zugang zur Wohnung könnte z.B. durch Anbringen einer Katzenklappe ermöglicht werden. Eine Holzkiste ist als "Höhlenersatz" nicht ausreichend.

 

 

Wenn sich morgens in der Früh ...

... die Stalltür von Menschenhand öffnet, warten schon Viere ungeduldig, dass es raus geht: Die scheue, ängstliche Ovan, die sich selten anfassen geschweige denn fangen lässt, verzichtet meist aufs morgendliche Streicheln und flitzt als Erste los. Gefolgt von Hajduk, der Chefin. Sie vergewissert sich gleich, ob noch alles am rechten Platz steht und auch die Futterstelle bestückt ist.

 

 
Dann kommt Frank. Er ist der Hahn im Korb und besteht zunächst auf ein Kopfstreicheln als Guten - Morgen - Gruß. Zuletzt zockelt Miri los, etwas unbeholfen und tapsig, denn ihr großes Hobby ist Fressen. Bei ihr gilt: Wenn sie einmal eine Stunde lang nichts frisst, dann muss sie krank sein …

 

 

  

Wurfgeschwister - Lässiges Abhängen auf der Dachterrasse


 

 


Mit fünf Wochen Waisenkinder

So unterschiedlich können Geschwister sein. Auf meiner Dachterrasse mitten in Mannheim in luftigen 91 Stufen Höhe haben sie am 15. Juli 2007 das Licht der Welt erblickt. Ihre Mutter Nadezhda hatten eine Freundin und ich aus einer Hinterhofhaltung mit eigener, unsachgemäßer Schlachtung (!) mehr oder minder entführt. Es hieß, dass sie trächtig sei, deshalb hatte ich ihr den Namen „Hoffnung“ gegeben. Drei Tage später war sie es nicht mehr und schenkte sieben kleinen, nackten und blinden Babys das Leben; zwei weitere entdeckte ich Tage später als Totgeburten. Leider verstarb sie nach fünf Wochen.

Der Stress durch Transport, Schwangerschaft, die neue Umgebung, vielleicht auch die Futterumstellung (als Tierhalter sollte man ja den Fehler zuerst bei sich suchen!) und der grausame Mord am Vater ihrer Kinder vor ihren Augen waren wohl zu viel für sie gewesen. Dennoch war sie in dieser Zeit ihren Mutterpflichten nachgekommen, und zum Glück fingen die Kleinen gerade an, ihr erstes Heu zu fressen. Kurze Zeit später starb noch ein Männchen; zwei Weibchen habe ich drei Monate später abgegeben. Denn auch auf einer fast 30 Quadratmeter großen Dachterrasse hat die Tierliebe Grenzen. Den übrigen vier Kaninchen habe ich ein langes glückliches und vor allem artgerechtes Leben versprochen.

 

 

  

Der kastrierte Rammler Frank lebt im Matriarchat.

 

 


Besser als Fernsehen

Dieses Versprechen löse ich Tag für Tag ein. Zunächst habe ich sie für einige Stunden am Tag frei gelassen, nachdem ich die Terrasse von außen gesichert hatte. Dabei lernte ich, dass Kaninchen alles fressen, was grün ist – egal, ob das meine Rosen, Oleanderblätter oder auch eine Engelstrompete waren. Diesen Drogenkonsum wollte ich dann doch nicht unterstützen. Also schleppte ich meterweise Maschendraht heran und zäunte meine Pflanzen ein. Denn besser eingesperrte Pflanzen als Kaninchen, oder? Ihren mittlerweile ganztägigen Freilauf danken sie mir nun mit vielen lustigen Aktionen. Da ich freiberuflich und zuhause arbeite, nutze ich jede freie Minute zur Tierbeobachtung. Und das ist besser als Fernsehen: Da wird hier gewühlt und dort gebuddelt (Unkastrierte Weibchen haben den Drang dazu, also gibt es zwei mit Erde gefüllte Kästen), Blumentöpfe „aufgeräumt“, wenn ich sie wieder zusammengestellt habe, denn Kaninchen lieben ihre eigene Ordnung, Fellpflege untereinander betrieben, und morgens erfreuen sie mich mit spektakulären Sprüngen. Mittags kehrt Ruhe ein. Dann ist stundenlang Siesta in der Gruppe oder Abhängen am individuellen Lieblingsplatz angesagt. Streit gibt es selten; manchmal wird allerdings an der Rangordnung gezweifelt, die Hajduk regelmäßig rasch wieder herstellt.

Hajduk guckt von Außen gerne durch die geschlossene Terrassentür (siehe Bild oben). Gut, dass die Scheibe blitzblank ist und sie sehen kann, was in der Küche passiert. Die Chefin der Kaninchengruppe will am liebsten mitten im Geschehen sein. Ab und zu mogeln sich die Kaninchen auch durch die offene Terrassentür in den Wohnbereich. Ihr Revier und Lebensraum ist und bleibt, Sommer wie Winter, die Dachterrasse, wo sich die Tiere nach eigenem Gusto entfalten können.
 

Die Kaninchen leben ganzjährig auf der Dachterrasse.
Miri macht es sich in der Küche gemütlich. Aber lange darf sie
nicht bleiben, denn die Küche ist Menschenrevier.
 

 

 

  

Hier hätten eigentlich Prunkwinden emporwachsen sollen, aber Hajduk hat mich
 von einer viel besseren Verwendung des Blumenkastens überzeugt …

 

 


Eine weibliche Führungskraft

 

Hajduk an ihrem bevorzugten Platz.
 

Gibt es bei Kaninchen weibliche Führungskräfte? Und ob. Hajduk heißt nicht umsonst „Freiheitskämpfer“. Bereits mit zwei Monaten machte sie ihre Position in der Gruppe klar, war stets die Neugierigste, Mutigste und Intelligenteste. Der einzige Rammler, Frank, hatte da gar nichts zu melden. Ihn ließ ich mit drei Monaten frühkastrieren, als sein Interesse an den Schwestern mehr als freundschaftlich wurde. Das tat seiner Beliebtheit keinen Abbruch. Er ist nie in die Rangeleien der Weibchen verwickelt und verhält sich ihnen gegenüber sehr sozial, gar galant. Als Gegenleistung wird er von ihnen zärtlich umsorgt. Einziges Problem bei allen: Ich habe sie nicht stubenrein bekommen (es allerdings auch nicht versucht, ähem).
 

Weibliches Tanzritual und Kräftemessen.


Da sie insbesondere das Terrain zwischen ihrem Stall und der Terrassentür als ihr ureigenes Revier ansehen – in dem ich  wenigstens geduldet bin – wird dies auch ausgiebig markiert. Will ich also die Terrasse betreten, muss ich erst einmal ein Minenfeld freiräumen. Die Knoddeln kippe ich  oft in meine Pflanzen. Nun, ich bin ja selbst schuld. Damit wenigstens meiner Wohnung dieses Schicksal erspart bleibt, lasse ich die Terrassentür zu. Ganz klar: Was verboten ist, interessiert, und so nutzen sie jede Gelegenheit zu einem Ausflug in die gute Stube. Aber Kaninchenjagen macht auch wiederum Spaß …
 

 

 

  

Miri und Frank bei der Fellpflege.

 

 

  

"Schneelöwen" im Dezember 2008

 

 


Bald gras ich am Neckar …

Und noch was muss ich zugeben: Die saisonale Futterbeschaffung ist aufwändig. Bald gras ich am Neckar, bald gras ich am Rhein, und zum Wandern oder in meinen Garten geht’s nie ohne Futtertüte. Gesammelt wird alles, was schmeckt, aber nicht an der Straße wächst oder von Hunden gedüngt wird: Eichen-, Hasel-, Tannen- und Birkenzweige, Schilf vom Badesee, Gänse- und Gemüsedisteln und natürlich Löwenzahn und Klee. Im Winter müssen als Frischfutter Kohlrabiblätter und Grünkohl herhalten. Die Frischfutter- und Nagematerialbeschaffung ist in einer Stadtwohnung aufwändiger als auf dem Lande und bei einer großen Anzahl von Kaninchen wohl sehr schwierig. Einige schmackhafte und gesunde Kräuter wie Basilikum, Minze, Ringelblume und Echte Kamille habe ich auch selbst angepflanzt. Und weil wir gerade vom Essen reden: Es ist spät geworden, und da ich meine Kaninchen nachts gerne im Stall weiß, werde ich sie nun mit etwas Körnerfutter ins Nachtquartier locken. Und das zieht immer ...


Der Stall steht an der Hauswand
auf der Dachterrasse im Außenbereich.
 

Nachtrag von Kathrin Hentzschel 2009 / 2010: Sie haben mich nun rumgekriegt. Inzwischen bleibt die Stalltür Tag und Nacht offen, und die Vier entscheiden selbst, wann und ob sie in ihre "Höhle" gehen. Dort haben sie ihr Wasser und die Heuraufe; im ersten Stock wird gern mal ungestört ein Nickerchen gehalten. Sie haben diesen Wunsch selbst geäußert – als ausgewachsene Tiere waren sie immer schwerer dazu zu bewegen gewesen, auf Kommando den Stall aufzusuchen und mehrere Stunden eingesperrt zu sein. Zudem gab es auch immer wieder Reibereien zwischen Ovan und Hajduk. Die gehören nun der Vergangenheit an. Klar, wir sind ja nun auch erwachsen und brauchen unseren eigenen Freiraum! Damit ich selber nicht auf Frischluft in der Küche verzichten muss, haben wir eine einfache kniehohe Absperrung aus Hasendraht und Holz gebastelt, die den Kaninchen den Eintritt in meinen Wohnbereich verwehrt. Sehr zu ihrem Leidwesen! Am liebsten würden sie wohl die ganze Wohnung in Beschlag nehmen, aber hier muss sich die zweibeinige Co-Chefin dann auch mal durchsetzen …


 

 

 

 

 


Es gibt stets Gehölzfutter zum
Benagen, das die Tiere emsig in kleine Stücke zerlegen. Ein bisschen Anstrengung muss schon sein.
Wenn die Zweige nur auf dem
Boden liegen, ist es ja langweilig.

 

 

Eine artgerechte Kaninchenhaltung funktioniert m. E.  auch in der Stadt, wenn man seinen Tieren einige Voraussetzungen schafft. Wer aber ein Kaninchen allein und nur im Käfig halten will, lediglich einen Kuschelpartner sucht oder glaubt, die "Nager" wären mit Fertigfutter aus der Tüte und Wasser aus der Plastikflasche zufrieden, sollte sich lieber eines der süßen Stoffhäschen von Steiff aufs Kopfkissen setzen!

 

 


 

  

Gymnastikübungen an der Absperrung

 

 

  

Im Mai 2010 musste der Holzboden erneuert werden ...

 

 

  

... man darf auch ab und an auf die neue Liege der Kaninchen.

 

 

  

... Ovan auf dem höchsten Aussichtspunkt in Ihrem Revier.

 

 

  

Hajduk nutzt die Gunst der Stunde und bedient sich selbst an der Knäckebrot-Schatztruhe.

 

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eingestellt im August 2008
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Bilder und Text
von Kathrin Hentzschel /
 layout, Bildbearbeitung, Vorwort
Peter Bechen

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